Kurze Wege und Entscheidung vor Ort: Pflegefachkräfte dürfen jetzt auch Hilfsmittel für die Pflege zuhause verordnen
Das Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG) sieht vor, dass alle Pflegefachkräfte mit einer Qualifikation nach dem Pflegeberufegesetz (PflBG) entsprechende Empfehlungen aussprechen können.
Fast unauffällig hat sich zu Jahresbeginn im deutschen Hilfsmittel-Erstattungssystem eine kleine Sensation ereignet: Für den Bereich der Pflegehilfsmittel wird die Verordnungshoheit der Mediziner durchbrochen und die Entscheidung, was für die Patienten in ihrem Alltag wichtig und notwendig ist, in die Hände der Menschen gelegt, die diese Patienten auch persönlich gut kennen.
Die Neuregelung im §40 des Sozialgesetzbuchs XI bildet eigentlich nur die gelebte Realität ab, in der häufig die Pflegefachkräfte bei den Fachärzten Rezepte für die notwendigen Hilfsmittel „anfordern“. Nun wird ein bürokratischer Schritt übersprungen und die Pflege gestärkt. So kommen die Betroffenen einfacher an die Hilfsmittel, die sie brauchen.
Sven Koppelwiser vom Pflegebettenhersteller Burmeier und Sprecher der AG Hilfsmittel beim Industrieverband SPECTARIS, fasst zusammen: „Der Gesetzgeber will, dass Pflegebedürftige in der häuslichen Pflege schneller als bisher geeignete Hilfsmittel erhalten und setzt dabei auf die Kompetenz von ausgebildeten Fachkräften. Erkennen die Experten beim Hausbesuch einen Hilfsmittelbedarf, kann dieser als konkrete Empfehlung durch das Sanitätshaus beim Kostenträger statt eines Rezeptes eingereicht werden. Das spart wertvolle Zeit in der Versorgung, entlastet Hausarztpraxen und reduziert unnötige Kontakte.
DasGesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG) sieht vor, dass alle Pflegefachkräfte mit einer Qualifikation nach dem Pflegeberufegesetz (PflBG) entsprechende Empfehlungen aussprechen können. Der GKV Spitzenverband hat dafür einen einheitlichen Vordruck bereitgestellt, der Bedarf kann aber auch „einfach in Textform“, wie bei einem normalen Rezept an die Kostenträger eingereicht werden.

Dabei geht es um Pflegehilfsmittel, die „zuhause“ fehlen, nicht um stationäre Versorgungen. Sven Kübler vom Competenz Netzwerk Außerklinische Intensivpflege CNI e.V. sieht einen Meilenstein in der ambulanten Versorgung einer immer älter werden Gesellschaft: „Es sind zwar viele Produktgruppen in der Richtlinie enthalten, aber primär zeigt sich der gesetzliche Fokus auf die Pflege zuhause, denn es geht vor allem um Hilfsmittel für die Lebensbereiche Bad & Toilette, Mobilität, Pflegebetten, Transfer und Verbrauchsmaterial. Und das ist gut und richtig, denn die Pflegekräfte können die häusliche Situation und den Hilfsmittelbedarf häufig am besten einschätzen.“
Ein großer Schritt zur Entbürokratisierung im Hilfsmittelversorgungsprozess
Und noch etwas ist einmalig: Endlich räumt der Gesetzgeber den ausgebildeten Pflegefachkräften eine enorme Beurteilungskompetenz ein. Normalerweise können Hilfsmittelverordnungen durch Vertragsärzte jederzeit auf Wunsch der Kostenträger vom Medizinischen Dienst MD überprüft werden. Nach der neuen Richtlinie wird die medizinische Erforderlichkeit bei Empfehlung der Fachkraft als gegeben angenommen, und der MD wird nicht mehr dazwischengeschaltet. Damit sinken die gesetzlich gestatteten „Bearbeitungsfristen“ auf maximal drei Wochen, was schnelle Abhilfe in akuten Situationen begünstigt.
Ab sofort kann es losgehen; die Änderungen sind bereits in Kraft getreten. Die Festlegung der beruflichen Qualifikationen der Pflegefachkräfte spielten dabei eine große Rolle. Allerdings, so die Stimmen aus der Praxis, ist das Wissen um diese Richtlinie noch nicht flächendeckend bei den Pflegenden „vor Ort“ angekommen, hier ist noch einige Informationsarbeit der Fachverbände notwendig. Für Pflegekräfte wiederum ist es essenziell, Produkte zu kennen, Neuheiten aus dem Markt nach den Bedarfen der zu Pflegenden zu filtern und so eine verbesserte Versorgung auch sicherstellen zu können.
Das Netzwerk CNI stellt gemeinsam mit dem Verlagsunternehmen hw-studio weber (u.a. Fachzeitschriften not, beatmet leben und RehaTreff) und einigen Fachausstellern zum Thema Pflege und Homecare, im Forum in Halle 2 auf der REHAB umfangreiche Konzepte für eine teilhabeorientierte außerklinische Intensivversorgung vor. Denn auch Menschen mit umfangreichem Unterstützungsbedarf, z.B. ALS-Patienten, können durch ein interdisziplinäres Miteinander vieler Professionen befähigt werden, wieder selbstständig am Berufs- und Gesellschaftsleben teilzunehmen. Forumsbeitrage, Fachdiskussionen und Praxisberichte stellen Chancen und Möglichkeiten für Betroffene, ihre Angehörigen und Pflegende dar.