Neu denken in Corona-Zeiten: Change-Management persönlich und in Unternehmen

„Die Generationen von heute haben keine ausreichenden Erfahrungen mit Einschränkungen und Entbehrungen“, und das ist nach Auffassung von Dr. Martina Oldhafer, Medizinsoziologin, einer der Gründe dafür, dass immer mehr Menschen „coronamüde“ sind und die Gefahren des Virus ausblenden.
Viele Mitbürger sind erschlagen von der unendlichen – auch widersprüchlichen – Meldungsflut über Covid-19, deshalb werden wichtige Informationen überhört. „Am liebsten würden wir alle so schnell wie möglich in unsere bekannten Bewegungs- und Verhaltensmuster zurückkehren, denn vertraute Handlungskonzepte geben Sicherheit.“ Die Welt wird sich aber auch nach dem Virus verändert haben, damit müssen sich alle Menschen abfinden.
Als Coach für Change-Management mit viel Expertise im Gesundheitswesen weiß Martina Oldhafer aber auch, dass es länger als ein Jahr dauert, bis sich psychologische Veränderungen in unseren Köpfen verankert haben. Wir müssen also Geduld haben, mit uns selbst und denjenigen Kollegen oder Patienten, die noch nicht beherzt und frei über ein verändertes Morgen nachdenken können.
Kinder und ältere Menschen leiden zurzeit am meisten unter der Pandemie; die einen vereinsamen sozial ohne Freunde und Mitschüler, die anderen verstehen die digitale Welt nicht mehr und sind ausgeschlossen. Für die westliche Zivilisation ist das Tragen der Maske ein viel größeres Fremdgefühl als in asiatischen Kulturen. Das ‚Lesen‘ der Augensprache muss erst erlernt, der eingeschränkte Gesichtsausschnitt interpretiert werden.
Ist Digitalisierung die einzige Lösung für unser Miteinander? „Nein“, meint die engagierte ‚Unruhestifterin‘, wie sich Martina Oldhafer selbst bezeichnet. „Der Mensch ist ein soziales Wesen, wir wollen uns und unser Gegenüber mit allen Sinnen wahrnehmen und berühren“. Das alles fehlt gerade, digitale Treffen und Konferenzen haben keine vergleichbare emotionale Qualität und sind daher zwar im Moment die einzig möglich Variante des Austauschs, aber eben auch nur ein minimalistischer Kommunikations-Ersatz.
Im Sanitätsfachhandel bei der Hilfsmittelversorgung zum Beispiel muss es weiterhin persönliche, individuelle Bedarfsermittlung geben, aber diese kann vorab mit ausführlicher telefonischer Beratung und mit einer Videodokumentation der Funktionsweise der verschiedenen Hilfsmittel vorbereitet werden, ist sich Martina Oldhafer sicher. Die Beratung muss zielgerichtet und nutzerorientiert erfolgen, ehrliche Information der Anwender und Ausprobieren garantieren gute Akzeptanz. Online-Verkauf und Versand sind für individuelle Hilfsmittel sicherlich keine Lösung.
Martina Oldhafer hat 10 Jahre als Vorsitzende der Gesellschaft für Transitionsmedizin ‚Übergänge‘ beschrieben und organisiert, medizinisch, soziologisch und kulturell: Als MBA hat sie auch gesundheitswirtschaftliche Themen im Blick. Erfolgreiche Veränderung bedeutet für sie nicht Projektmanagement, Meilensteine und Fachthemen, es geht nicht, ohne die Menschen mitzunehmen, nur dabei werden Emotionen geweckt und Kommunikation angeregt. Gesamtgesellschaftlich und im Gesundheitswesen muss eine deutliche Wir-Orientierung erfolgen, Leistung und Konsum helfen gerade nicht weiter.
Ihr persönlicher Tipp für die nächsten Wochen? „Corona ist mehr Psychologie als Epidemiologie, man sollte sich Zeit für sich selbst nehmen, das kann z.B. Sport oder Meditation sein, für eine halbe Stunde die Einflüsse von außen ausschalten. So findet man die innere Ausgeglichenheit, Dinge anzunehmen, die man nicht ändern kann. Ganz einfach: Ich muss mir täglich die Aufmerksamkeit selbst schenken, die ich von anderen gerade nicht bekomme. Das nennt man Resilienz.“