„Ernst nehmen, nach Ursachen forschen und aufklären“ - Die aktuelle Strategie bei Fatigue und Long COVID
Long COVID, Fatigue und das chronische Fatigue-Syndrom – die Gruppe der Patienten mit diesen Diagnosen wächst. Prof. Dr. Christian Dettmers aus Konstanz ist Spezialist für Long COVID. Beim Therapeutenkongress CON.THERA wird er sprechen.
Für die Betroffenen selbst ist das Leben mit Long Covid oder Fatigue sehr belastend. Auch gesamtgesellschaftlich ist das Syndrom aufgrund langer Krankschreibungen von großer Bedeutung. Prof. Dr. Christian Dettmers ist der Leiter der Multiple-Sklerose-Abteilung der Kliniken Schmieder in Konstanz und ausgewiesener Spezialist für Long COVID. In diversen Studien mit betroffenen Patientinnen und Patienten hat er an den auf Long COVID spezialisierten Kliniken Schmieder zu Fatigue geforscht und kennt den aktuellsten medizinischen Stand. Auf der REHAB 2023 wird er im Rahmen des dort stattfindenden CON.THERA-Kongresses sprechen.

„Fatigue ist ein für die Patientinnen und Patienten ernst zu nehmendes Problem. Die Müdigkeit und Erschöpfung sowie die extrem langsame Genesung ist für die Betroffenen sehr belastend. Aus ärztlicher Sicht gilt es immer im ersten Schritt abzuklären und einzuordnen, ob sich organische Ursachen nachweisen lassen, ob kognitive Beeinträchtigungen zu verzeichnen sind und ob psychosoziale Komponenten das Syndrom verstärken“.
Während Fatigue eine subjektiv empfundene Müdigkeit ist, kann man die Fatigabilty als organische Ursache für Leistungsminderung mit Ermüdbarkeit nachweisen. Bei diesem Symptomenkomplex können etwa rheumatische Erkrankungen oder Krebs nachweisbare Auslöser sein.
Psychisch oder organisch?
Neu hinzugekommen sind nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 Langzeitfolgen beziehungsweise das Long-COVID- oder Post-COVID-Syndrom. Über mögliche Ursachen dieses Syndroms wird noch geforscht. Auffällig ist der von den Betroffenen empfundene, aber schwer messbare und beweisbare Leistungsabfall und die belastende Müdigkeit, die in einem nicht mehr bewältigbaren Alltag und in zum Teil langen Krankschreibungen mündet. Neueste Studien geben Hinweise darauf, dass - durch COVID begründet - entzündliche und betroffene Hirnareale für kognitive Beeinträchtigungen verantwortlich sein können. Es kann daher ein Zusammenhang zwischen organischen Ursachen und zusätzlichen psychischen oder psychiatrischen Begleiterscheinungen bestehen.

„In jedem Fall sind die Symptome von Fatigue ernst zu nehmen, auch wenn wir bei dieser Patientengruppe keine organischen Ursachen feststellen können“, betont Prof. Dr. Dettmers. Hier zeige sich eine Erschöpfung, die nach überstandener Infektion – und auch durch die mediale Berichterstattung ausgelöst - viele psychosoziale Ursachen haben könne. Prof. Dr. Dettmers: „Wenn - wie bei MS - organische Ursachen zugrunde liegen, ist es im Gespräch mit den Betroffenen einfach, über die kognitiven und psychischen Symptome zu sprechen und gemeinsam einen Therapieansatz zu finden. Bei fehlender organischer Ursache und Long-COVID-Patienten wird es deutlich schwieriger, die Betroffenen von einem zwingenden Zusammenhang ihrer empfundenen Leistungseinschränkung mit der überstandenen Infektion abzulenken und auf andere Belastungsmöglichkeiten hinzuweisen, um dann gemeinsam eine gelingende Bewältigungsstrategie für empfundene Krisen und die damit verbundene Müdigkeit zu entwickeln.“
Mit der Unterscheidung zwischen Fatigue und Fatigability gelingt es bei einer ganzheitlichen sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung, die subjektiven Aspekte mit den objektiven Befunden zu berücksichtigen. „Im Rahmen der MS ist bei Fatigue der deutliche Hinweis an die Betroffenen wichtig, dass die vorzeitige Erschöpfbarkeit keine neurologischen Schäden verursacht. Durch Aufklärung wird verhindert, dass Patientinnen und Patienten Vermeidungsstrategien entwickeln und einer erwarteten Erschöpfung durch Schonung vorbeugen“, sagt Prof. Dr. Dettmers.
Zusammenspiel aller Akteurinnen und Akteure
Zusammenspiel aller Akteurinnen und Akteure
Er fährt fort: „Schonung hat in vielen Fällen negative Auswirkungen auf den Genesungsprozess. Hier gilt es, alle beteiligten Disziplinen - von Hausärztinnen und Hausärzten, über Psychologinnen und Psychologen bis hin zu den Therapeutinnen und Therapeuten - für dieses Syndrom zu sensibilisieren, eine standardisierte Diagnostik und im Anschluss einen sehr individuellen Therapieansatz zu entwickeln und das unter Einbezug des psychosozialen Hintergrunds des Patienten.“
Fatigue und Long COVID stellen aktuell ein Gesundheitssystem mit knappen Ressourcen auf die Probe: „Es muss uns gelingen, Long COVID-Patienten von deren überwiegend vollständigen Genesung zu überzeugen, um zu verhindern, dass diese Patientengruppe dauerhaft beeinträchtigt bleibt beziehungsweis die Arbeitsfähigkeit verliert.“ Dies gelingt bereits in den wenigen spezialisierten Post-COVID – Ambulanzen. Deren Erfahrung und Wissen gilt es in die Breite zu streuen, um diesem Massenphänomen bei knapper Ressource wirksam begegnen zu können.

Genau das passiert im Rahmen des interdisziplinären Therapeutenkongresses CON.THERA am 16. Juni 2023. Das vollständige Kongress-Programm ist ab Januar verfügbar. Infos zum vergangenen Kongress und bald zum künftigen erhalten Sie HIER.