23.02.2023

Eigenhändig den Alltag meistern – auch mit schwacher Handfunktion

Greifen, ergreifen, zugreifen und begreifen, Zugriff bekommen - im Deutschen gibt es viele Begriffe für eine ähnliche Tätigkeit. Schon kleine Kinder erfassen und erfahren in ihrer frühen Entwicklung die Umwelt mit den Händen und Fingern.

Eine junge Frau sitzt in einem Rollstuhl und arbeitet an einem Laptoop. Ihr rechter Arm liegt dabei auf einer Armstütze auf, die es ihr ermöglicht, auf der Tastatur zu tippen. Die Frau trägt einen roten Pullover, hat blonde Haare und eine Brille.
Die Armstütze von Kinova wird an einem Arbeits- oder Rollstuhl angebracht, um den Arm bei verschiedenen Bewegungen zu unterstützen. Dabei hilft eine Kombination aus dem eigenen Arm und der Armunterstützung den Anwenderinnen und Anwendern, sich frei zu bewegen. (Bild: Kinova)

Das Greifen ist wichtig, um sich zu entwickeln und selbstständig am Leben teilhaben zu können. Das gilt auch für Menschen mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen. Es gilt, deren Greifvermögen aufzubauen, zu erhalten oder wieder möglich zu machen.

Bei vielen Studien unter gelähmten Menschen, neurologisch betroffenen Schlaganfall-Patienten, Menschen mit Rheuma und anderen Ursachen von Hand- und Armkraftverlust, kam immer wieder heraus, dass die Handfunktion und die Mobilität der oberen Extremität lebenswichtig sind.

Der Fokus auf selbstständige und selbstbestimmte Aktivität wurde spätestens 2020 mit dem neuen Bundesteilhabegesetz BTHG festgeschrieben. Der Perspektivwechsel vom Versorgt werden zum Selbstversorgen hat sich aber schon seit vielen Jahren in der Medizin etabliert.

Aussteller präsentieren Hilfsmittel auf der REHAB

Nationale und internationale Hilfsmittelhersteller haben diese Herausforderungen angenommen und in der Pandemiephase konsequent in neue Technologien umgesetzt. Auf der REHAB 2023 in der Messe Karlsruhe wird ein großes Spektrum von Arm- und Handmobilitätshilfen für Nutzende jeden Alters und diverser Einschränkungen vorgestellt.

Ein älterer Mann mit Brille und Halbglatze trinkt aus einer roten Tasse. Er sitzt an einem Tisch. Sein linker Arm liegt auf diesem auf, sein rechter Arm, der die Tasse zum Mund führt, liegt in einer Armstütze vom Hersteller Kinova.
Neben dem Gowing bietet Kinova auch den Dowing an. Er ist mit einem Motor ausgestattet und für schwächere Patientinnen und Patienten geeignet. (Bild: Kinova)

Kinova, ein kanadischer Anbieter von Roboterlösungen für Menschen mit Behinderung, hat sein Portfolio um zwei dynamische Armunterstützungssysteme erweitert. Der „Gowing“ und der „Dowing“ helfen Menschen mit erkrankungs- oder unfallbedingt eingeschränkter Armfunktion. Restkräfte sind bei vielen Betroffenen vorhanden, diese werden mit den Kinova-Produkten aktiviert und unterstützt.

Der „Gowing“ ist eine Art mechanische, flexible und individuell gefertigte Armauflage, die überall an Therapiestühlen oder Sitzmöbeln befestigt werden kann. Dies ist auch für Kinder in der Kita und Schule ein Hilfsmittel, um die Kleinen zu fördern, mit gleichaltrigen Freunden Aufgaben zu erledigen und so selbstständig zu werden.

Ziel: Steigerung der Lebensqualität

Für schwächere Patientinnen und Patienten ist der „Dowing“ mit einem Motor ausgestattet. Dennoch ist er ein leichteres Hilfsmittel als der bereits seit Jahren bekannte Roboterarm für Tetraplegiker und Muskelerkrankte. Die Lebensqualität der User und der gesetzmäßige Ausgleich der Behinderung durch High-Tech steht bei all diesen Lösungen im Vordergrund.

Eine junge Frau mit braunen langen Haaren und einer runden Brille steht an einem Tisch, auf dem Obst in Schalen und auf einem Brett liegt. Ihre linke Hand liegt mit den Fingerspitzen auf dem Tisch auf, an der linken Hand trägt sie eine Orthose von HKK Bionics. Damit hält sie ein Schneidemesse in der Hand.
HKK Bionics stellt myoelektrische Handorthosen für Menschen her, deren Hände vollständig gelähmt sind (Bild: HKK Bionics)

HKK Bionics, ein Startup von zwei Medizintechnik-Studenten aus Ulm, erfand für vollständig gelähmte Hände die erste myoelektrische Handorthese, die „Exomotion Hand One“. Dabei werden künstliche Sehnen durch Motoren im Orthesen-Handschuh mit einer Armschiene bewegt, die Impulse kommen aus einem noch aktiven Muskel, der am betroffenen Arm oder etwa im Rücken angesteuert wird. So können sich die Finger mit unterschiedlichen Greifarten zum Essen, Trinken oder Türen öffnen bewegen. Das innovative Konzept wird bereits von vielen Sanitätshäusern in Deutschland mit individuellen Anpassungen der Fingerlinge und Schienen im Sonderbau umgesetzt.

Ein Mann mit schwarzgrauem Haar steht in einer Küche. Mit der rechten Hand hält er einen Teller fest, auf dem ein Stück Parmesankäse liegt. An seiner linken Hand trägt er eine Carbonhand von Exxomove und reibt damit den Käse.
Exxomove stellt Carbonhände her. Hierfür müssen Anwenderinnen und Anwender aber gewisse Restkräfte haben. (Bild: Exxomove)

Ein eigenständiges Leben trotz Multiple Sklerose (MS), Arthrose oder schmerzhaften Veränderungen der Hände ermöglicht die Carbonhand des süddeutschen Unternehmens Exxomove. Hier müssen allerdings ausreichend Restkräfte vorhanden sein, die ebenfalls über künstliche Sehnen und Sensoren an den Fingerspitzen die beabsichtigte Greifbewegung verstärken. Dies kann auch zur Therapie und für Reha-Trainingszwecke zum Aufbau von Kraft und Ausdauer genutzt werden.

Eine künstliche Hand, die einen Löffel festhält, greift in eine Schale mit Müsli und Milch.
Mit dem Handadapter von Neofect ist beispielsweise das Essen von Müsli möglich. (Bild: Neofect)

Funktionelles Greifen mit der eigenen Hand und mit der Hilfe von magnetisch auswechselbaren Zubehörelementen, das ist das variable Tactee-Konzept von Neofect. Ein einfach anzuziehender Handadapter in drei verschiedenen Größen wird über die Handfläche gestreift. Durch ein patentiertes Magnet-System können unterschiedliche Alltagshilfen angeschlossen werden. Dabei stehen Ess-Besteck, Stifte, die Zahnbürste, ein Kamm, ein Trinkflaschenhalter und eine Reihe anderer Module zur Verfügung. Dies unterstützt ältere Menschen mit wenig Kraft beim Greifen genauso wie sehr individuell neurologisch eingeschränkte Menschen nach Schlaganfall, bei Multiple Sklerose oder anderen Krankheitsbildern.

Ziel: Steigerung der Lebensqualität

Über allem steht die Erhaltung von Lebensqualität durch Autonomie und Selbstständigkeit: Das Bundesteilhabegesetz legt einen deutlichen Schwerpunkt auf Arbeitsintegration und Alltagsbewältigung – und das gilt unabhängig vom Grad der Beeinträchtigung und damit auch für Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf. Es geht daher immer darum, gemeinsam mit den behandelnden Medizinerinnen und Medizinern, Therapeutinnen und Therapeuten und den Nutzenden selbst den Alltags- und Teilhabebedarf zu beschreiben. Aus diesen Anforderungen kann man mit der Unterstützung eines Sanitätshauses das richtige Hilfsmittel auswählen und bei der Krankenkasse beantragen.

Ausprobiert werden können alle genannten Hilfsmittel auf der 22. Europäischen Fachmesse REHAB vom 15. -17. Juni 2023 in der Messe Karlsruhe. Der Interdisziplinäre Therapeutenkongress CON.THERA begleitet mit praxisnahen Fortbildungsangeboten Therapeutinnen und Therapeuten sowie Reha- und Orthopädietechniker beim Wissensaufbau.

  • Infos zu Exxomove finden Sie HIER
  • Weitere Infos zu den Produkten von HKK Bionics erfahren Sie HIER
  • Alles zu den Konzepten von Neofect finden Interessierte HIER
  • Die Alltagshilfen von Kinova gibt es HIER