22.03.2023

Pädiatrische Rehabilitation: Kaum vergleichbare Krankheitsbilder machen wissenschaftliche Studien unmöglich

Dr. Kristina Müller forscht im Bereich der pädiatrischen Therapie. Beim Therapeutenkongress CON.THERA hält sie dazu einen Vortrag. Dennoch sagt sie, dass Evidenzbasierung in ihrem Bereich eigentlich nicht möglich ist.

„Evidenzbasierung in der pädiatrischen Therapie – kriegen wir eigentlich gar nicht hin“, sagt Dr. Kristina Müller. Dazu habe man in der Kinder-Rehabilitation viel zu selten gleiche und damit vergleichbare Verläufe, um randomisierte Studien zu machen. Dennoch benennt die Neuropädiaterin ihren Beitrag im Rahmen des Interdisziplinären Therapeutenkongresses CON.THERA, der parallel zur REHAB in Karlsruhe stattfindet, genau so. Aber warum?

Zu sehen ist Dr. Kristina Müller im Porträt. Sie trägt eine braune Brille, hat kurzes dunkles Haar mit grauen Strähnen. Dr. Müller lacht und schaut dabei in die Kamera. Sie trägt außerdem ein weißes Oberteil mit Kragen sowie eine schmale Kette um den Hals.
Dr. Kristina Müller ist Kinderneurologin und hält während des Therapeutenkongresses CON.THERA, der im Rahmen der REHAB stattfindet, einen Vortrag. (Bild: St. Mauritius Therapieklinik Meerbusch)

Die renommierte Kinderneurologin blickt bei ihren Behandlungen in der Mauritius-Therapieklinik auf 23 Jahre Erfahrung mit jungen Patientinnen und Patienten zurück. Für sie schließt sich so der Kreis zur Forschung: „Wissenschaftliche Studien als Format haben zu strenge Kriterien, dennoch müssen wir uns lerntheoretischen und anderen statistischen Modellen stellen, um die Wirksamkeit unserer Behandlungen zu belegen, und damit auch deren Finanzierung bei den Kostenträgern sicherzustellen.

Hier können wir aus der Erwachsenenneurologie lernen. Die Reparaturmechanismen des Gehirns sind bei Kindern nicht so anders und die Behandlungsprinzipien durchaus übertragbar.“

Ein Mädchen befindet sich in einem Reha-Bereich. Sie trägt ein pinkes T-Shirt und eine grau-pinke Sporthose. Das Mädchen staht auf dem rechten Bein. Ihr linkes Bein ist vom Oberschenkel ab amputiert. Sie trägt am linken Bein eine Prothese, die bis zum Boden reicht. Mit dieser steht sie ebenfalls auf dem Boden. Das Mädchen hält sich mit beiden Armen und Händen an einer rollbaren Stütze fest und schaut dabei eine Therapeutin an, die ihr gegenübersteht.
Die Firma Schuchmann stellt Kinder-Rehatechnik her - so wie diese Prothese. (Bild: Schuchmann)

Wichtig sind für Kristina Müller pädagogische Erkenntnisse der pädiatrischen Therapie. Vor allem die häufige Wiederholung, eine hohe Trainingsintensität, eine förderliche Umgebung und unter Umständen die passende Medikamentenbegleitung führten zu Rehabilitationserfolgen: „Repetitio est mater studiorum – die Alten hatten Recht,“ versichert die Meerbuscherin und fährt fort: „Nur mit aktuellen Therapieverfahren auf höchstem Niveau können wir unserem Anspruch gerecht werden und die Entwicklungspotenziale von Kindern und Jugendlichen mit neurologischen Erkrankungen voll ausschöpfen“.

Virtuelle Realität im Trainingsmodus und der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) sorgen gerade bei jungen Menschen in der Reha für mehr Akzeptanz durch Spaß und Spannung bei den vielen notwendigen Wiederholungen. So lernt das Gehirn und wird zu Höchstleistungen angeregt. Der Spaßfaktor ist extrem wichtig. Mit robotergestützten elektronischen Trainingsgeräten ist die Motivation hoch, so können die Patientinnen und Patienten auch nach der stationären Reha in der Klinik sinnvoll zuhause weiterüben. „Aber hier stehen wir erst am Anfang, da wird noch extrem viel passieren,“ sagt Dr. Müller.

Gangroboter entlastet Therapeutinnen und Therapeuten

Schon jetzt wird das Therapiepersonal durch Gangroboter und andere Trainingsgeräte entlastet und kann sich mehr den individuellen Patientenbedürfnissen widmen. Das Teilen von Neurowissen und Forschungsergebnissen sowie Evidenzbasierung durch Beobachtung ist auch in der Therapeutenausbildung extrem wichtig. Deshalb ist der Kongress CON.THERA interprofessionell und auch interdisziplinär aufgestellt und richtet sich an alle im Versorgungsprozess beteiligten Berufsgruppen. „Insgesamt schreitet die Akademisierung stark voran, dennoch macht mindestens genauso das Erfahrungswissen und die menschliche Zugewandtheit begnadete Therapeutinnen und Therapeuten aus.“

Ein Junge, etwa sieben Jahre Alt, trägt ein gelbes T-Shirt. Er hat braune Haare und befindet sich in einem Therapieständer der Firma Otto Bock. Der Therapieständer ist orange und hat zwei große Schlaufen, die den Jungen festhalten. Der Junge lacht und schaut dabei eine Therapeutin an, die ebenfalls lacht und einen grünen Handball großen Ball in ihren Händen hält.
Der Therapieständer von Otto Bock hilft Kindern trotz Einschränkung aufrecht zu stehen und fördert so die korrekte Entwicklung des Körpers. (Bild: Otto Bock)

Die aktuellen Entwicklungen bei der Genehmigung sowohl von Rehamaßnahmen als auch von Hilfsmitteln von Seiten der Kostenträger beobachtet Dr. Kristina Müller mit großer Sorge: „Mangelnde Evidenzbasierung bestimmter Therapien und Hilfsmittel wird als Vorwand benutzt, Maßnahmen pauschal abzulehnen. Eine Zeit lang hat die Kinderversorgung gut geklappt, aber nun haben wir uns wieder dem Zustand von vor 20 Jahren zurückgenähert: Die Patientinnen und Patienten werden monate-, wenn nicht jahrelang bei Reha- und Hilfsmittelanträgen wie auf einem Verschiebebahnhof zwischen den Kostenträgern hin- und hergeschickt. Mal verweist die Krankenkasse auf die Rentenversicherung oder die Eingliederungshilfe, mal geht es andersherum.“ Die Leidtragenden seien die Kinder und Jugendlichen, sie müssten viel zu lange auf Versorgungen und Zusagen warten. Dabei schlössen sich wichtige Entwicklungsfenster. Chancen zur Verbesserung ihres Zustandes würden endgültig vertan.

Dr. Müller kritisiert außerdem den hohen Verwaltungsaufwand. Statt einer aufgeblähten Bürokratie mit einer Flut an auszufüllenden Formularen, solle die Zeit lieber in die Therapie von Menschen investiert werden.

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