Das Ende der Genehmigungsfiktion! - Rolle rückwärts beim Bundessozialgericht zulasten der Patienten

Anfang 2013 hatte der Gesetzgeber mit dem Patientenrechtegesetz unter anderem das hehre Ziel, die gesetzlichen Krankenkassen zu schnelleren Entscheidungen zu zwingen. Sie müssen seitdem über Anträge innerhalb von 3 bzw. 5 Wochen (bei Einholung eines Gutachtens) entscheiden. Wird diese Frist versäumt, tritt die sogenannte Genehmigungsfiktion ein. Die Leistung gilt als genehmigt wie beantragt.
Eine vergleichbare Regelung wurde für alle Rehabilitationsträger mit dem Bundesteilhabegesetz auch in das SGB IX dem Gesetz zur Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen übernommen.

Gerade bei Kindern und Jugendlichen ist die Zeit, die zwischen Beantragung eines Hilfsmittels und dessen Auslieferung verstreicht, extrem wichtig. Kinder und Jugendliche sind im Wachstum, entwickeln sich weiter und benötigen daher für die individuelle, altersgerechte Versorgung eine zeitnahe Versorgung.
Was ist nun passiert?
Über Jahre hinweg hat das Bundessozialgericht (BSG) dies zu Gunsten der Patienten bestätigt und zwar unabhängig davon, ob sich Patienten die beantragte Leistung, z.B. das benötigte Hilfsmittel, selbst beschafft haben (Kostenerstattung) oder die Krankenkasse zur Gewährung der Sachleistung verpflichtet werden musste.
Ohne Not und zu Lasten der Patienten hat das BSG diese positive Rechtsprechung mit Urteilen vom 26.05.2020 (B 1 KR 9/18 R) und 18.06.2020 (B3 KR 13/19 R) aufgegeben. Nun schafft die Genehmigungsfiktion nur noch eine vorläufige Rechtsposition, d.h. vereinfacht, dass die Möglichkeit der Selbstbeschaffung endet, sobald die Kasse, wenn auch verspätet, eine Entscheidung getroffen hat.
Schnelle Selbstbeschaffung auf eigene Kosten unmöglich für Familien

Am Beispiel der Hilfsmittelversorgung erläutert Rechtsanwalt Jörg Hackstein, rehaKIND-Vorsitzender: „Um die Genehmigungsfiktion nutzen zu können, müssen sich nun Patienten zügig zwischen Fristablauf und verspäteter Entscheidung der Krankenkasse ein Hilfsmittel auf eigene Rechnung, d.h. eigenes Risiko und Vorfinanzierung, selbst anschaffen. Der Sachleistungsanspruch, d.h. Selbstbeschaffung und die Kasse muss danach zahlen, gilt nicht mehr. Mitunter wird nämlich erst in einem noch lang andauernden Widerspruchs- und Klageverfahren geklärt, ob die Anschaffung zu Recht erfolgte.
Es ist davon auszugehen, dass nur wenige Familien bereit und finanziell in der Lage sein werden, dieses wirtschaftliche Risiko zu tragen. Damit hat das BSG die Rechte der Patienten deutlich geschwächt. Wenn der Gesetzgeber weiter Interesse an der Stärkung der Patientenrechte und insbesondere an schnellen Entscheidungen der Krankenkassen hat, muss er das Nichteinhalten von Entscheidungsfristen zugunsten der Patienten auf Seiten der Kostenträger effektiv sanktionieren und dies vor allem auch für den Sachleistungsanspruch sicherstellen. Die wenigsten Patienten können es sich auf eigenes Risiko erlauben, Leistungen selbst zu beschaffen.“
Jörg Hackstein, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht