Rollstuhl-Skating - ein faszinierendes Hobby
Für Til Augustin ist Rollstuhl-Skating Extremsport und Motivation zugleich
„Mach das, wozu du Bock hast und zieh‘ durch!!!“ Diese glasklare Ansage kommt von jemandem, der gesundheitlich schon einige Tiefschläge einstecken musste. Der fast 18-jährige Til Augustin aus Chemnitz hat in seinem Leben bereits „Jahre“ in der Leipziger Uniklinik verbracht, aber die Krankenhausschule sei so „klasse“, dass er ganz ungehindert in zwei Jahren auf sein Abitur zusteuert. Und Til hat ein besonderes Hobby: Rollstuhl-Skating.
Deutsche- und Welt-Meisterschaften spornen an
Auf einer Messe kam Til mit 14 das erste Mal mit Rollstuhl-Skating in Kontakt und die Begeisterung für diesen halsbrecherischen Sport – zumindest sieht es so aus – war nicht mehr zu bremsen. Ein nationaler Profi und ein Coach aus dem Rollstuhlsport nahmen ihn unter ihre Fittiche. „Ohne Patrick und Timon wäre das nichts geworden“, ist sich Til sicher. So aber wurde es etwas: Er krönte seine bisherige Wheelchair Motocross (WCMX) Karriere mit zwei Deutschen Meisterschaften und einer Weltmeisterschaft in seiner jungen Altersklasse. Die großen Vorbilder David Lebuser und in den USA Aaron Fotheringham haben Meilensteine gesetzt, als sie sich mit dem Rollstuhl in die Halfpipe und Skate-Arenen stürzten.

Wenn das Leben Dir einen Rollstuhl gibt, finde einen Skatepark!
Dazu gehört natürlich auch eine ordentliche Ausrüstung: neben Helm, Rückenschutz und Pads für Arme und Beine vor allem ein extrem belastungsfähiger Rollstuhl mit besonderen Federungen, hoch individuell angepasst. Für Til, der mit dem Kaudalen Regressionssyndrom und einem Rückentumor vom Bauchnabel an gelähmt auf die Welt kam, seitdem zigfach operiert wurde und zuletzt seine halbe Hüfte und ein Stück vom Oberschenkelknochen verlor, ist solch ein Stuhl „überlebenswichtig“. Durch Spenden wurde der erste Sportrollstuhl finanziert, Tils Hilfsmittelversorger aus Köln arbeitet mit dem Reha-Sport-Club Rheinland zusammen und weiß daher, was die WCMX-Helden benötigen. Etwa 100 solche Sportler aller Altersklassen gibt es in Deutschland. „WCMX ist super inklusiv“, findet Til, der neue Skatepark in Chemnitz ist nahezu barrierefrei und junge Leute mit und ohne Handicap tummeln sich dort.

Individuell ausgestattete Hilfsmittel sind „überlebenswichtig“
Zur Zeit nutzt Til den Sportrolli auch im Alltag, weil es der einzige ist, der komplett auf seinen versteiften Rücken, das fehlende Becken, die korrigierten Rippen zugeschnitten ist. Allerdings hat er nun ein solches Modell in alltagstauglicher Variante bei der Krankenkasse beantragt. „Mal sehen, ob das durchgeht, aber wir haben keinen anderen Rollstuhl gefunden, der so zu meinem Körperbau passt.“ Ein Alltagsrolli ist wichtig, denn die Wohnung der Familie ist zwar im Erdgeschoss, aber nicht sehr groß, und vor der Haustür gibt’s auch noch Stufen.
Gundel Augustin, Tils Mutter,unterstützt ihren Sohn bei seinem Hobby: „Mit acht besonderen Kindern, davon einem besonders besonderen, muss man manchmal entspannter sein und loslassen. Außerdem schaue ich dem Schicksal immer optimistisch ins Gesicht. Wenn ich den Kindern etwas zutraue und sie Erfahrungen machen lasse, geht es auch meistens gut und stärkt sie.“ Bei den vielen Klinikaufenthalten begleitet Gundel ihren Sohn nach Leipzig. „Dann muss meine Rettungskette aus Familie und Freunden einspringen. Dafür bin ich sehr dankbar.“
Die alleinerziehende Mutter steuert gerade ihren Traumjob an: „Ab Herbst werde ich als Sozialpädagogin mit einer Verwaltungsausbildung das Leben von Geflüchteten in unserem Raum nach der Erstaufnahme koordinieren. Da werden alle meine Talente gebraucht.“
Wie geht es mit dem Talent von Til weiter? What’s your dream? Ohne lange Überlegung von Til: „Zunächst den Führerschein und dann mit einem umgebauten Campingbus und einem Hund durch Europa touren, das wäre cool.“ Seine Mutter träumt ganz bodenständig von drei freien Wochen, nur Zeit für sich selbst und ihre Interessen.

Inklusive Sportstätte: gemeinsam Sport treiben auf der REHAB
Wer weiß, vielleicht trefft ihr Til und Gundel auf der REHAB. Zum Beispiel auf der Inklusiven Sportstätte: Dort haben Interessierte mit und ohne Handicap die Möglichkeit, inklusive Sportarten kennenzulernen und auszuprobieren. Ein tägliches Programm mit Rollstuhl-Rugby, -Fechten, und -Basketball sowie Frisbee, inklusivem Hockey oder Wheelsoccer regte in den Vorjahren zum Mitspielen an. Das Programm für die kommende REHAB ist ab März 2022 verfügbar.